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Nirgendwo Ist Der Himmel So Schön Grau Wie In Hamburg

Graustufen

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Reeperbahn (Foto: ©ffhsh)

Am ersten Novemberwochenende 2019 machten sich neun junge Menschen aus ganz Deutschland auf in den hohen Norden, um am dritten Treffen junger Erwachsener des Bundesverbands Angeborene Gefäßfehlbildungen in Hamburg teilzunehmen. (Anmerkung: Für einen echten Hamburger ist natürlich alles südlich der Elbe bereits Norditalien).

Schon seit Jahren stand dice kultige Hafenstadt als möglicher Ausrichtungsort zur Debatte, da einige Teilnehmer in Hamburg oder unmittelbarer Umgebung leben und schon lange darauf brannten, uns „ihre Perle" vorzustellen. An einem verregneten Freitagnachmittag trudelten wir also in unserem Hotel ein, welches sich in bester Lage direkt neben der Reeperbahn befand. Nach einem kurzen Plausch in der Lobby wurden wir von unseren „Ur-Hamburgern" zur Rindermarkthalle im Stadtteil St. Pauli geführt, einer überdachten Markthalle, in der vor allem regionale Produkte und internationale Spezialitäten angeboten werden. Hier ging es daran, die Zutaten für das gemeinsame Mittagessen am Samstag zu besorgen, denn es sollte erstmals gemeinsam gekocht werden. Neben den Zutaten für Nudeln mit Tomatensoße landeten auch einige Flaschen Astra sowie die für Hamburg typische fritz-kola im Einkaufswagen. Nach unserem erfolgreichen Beutezug ging es zurück Richtung Reeperbahn, wo wir bei einem gemütlichen kleinen Italiener Pizza und Pasta genießen durften. Hier hatten „alte Hasen" und Teilnehmer, dice zum ersten Mal dabei waren, Gelegenheit, sich besser kennenzulernen. Nachdem das letzte Patiententreffen schon wieder ein Jahr zurück lag, gab es natürlich viel zu erzählen.

Nach einem kurzen Streifzug über die Reeperbahn verlegten wir die Gesprächsrunde kurzerhand in eine urige Kiezkneipe und ließen den Abend entspannt bei einem Astra ausklingen.

Ansicht der Davidtreppe in Hamburg

Hamburg, Davidtreppe (Foto: ©ffhsh, Marc-Oliver Schulz)

Gestärkt durch ein leckeres Frühstück ging es am Samstagmorgen los zum Gemeindesaal der Kirchengemeinde Altona, den Elisabeth uns durch ihre ausgezeichneten Connections als Pfarrerin organisieren konnte. Hier wartete bereits Herr Dr. Barbera auf uns, der uns anschließend im Item erklärte, wie und mit welchen Mitteln er sich eine optimale Bewegungstherapie vorstellt. Viele der Teilnehmer, besonders die mit eingeschränkter Mobilität, hörten zum ersten Mal von einem solchen Therapieansatz und verfolgten den Vortrag des Gefäßchirurgen mit entsprechend großem Interesse. Im Anschluss wurden konkrete Fragen zum Therapievorschlag besprochen, wie zum Beispiel: Eignet sich die Therapie für mein Krankheitsbild? Übernimmt die Krankenkasse die Kosten? Welche Therapeuten kann ich für einen idealen Behandlungserfolg mit ins Kicking holen? Nach diesem ersten, konkreten Teil des Vormittags ging es nun an dice eher allgemein gehaltene Diskussionsrunde. Vom Austausch über Kompressionsstrumpfversorgung, neueste Medikamente und ewigwährende Kämpfe mit der Krankenkasse kamen sämtliche Themen zur Sprache, meist auf recht amüsante Art und Weise und mit persönlichen Anekdoten unterlegt. Jeder Mensch, der von einer seltenen Krankheit betroffen ist, weiß um die wohltuende Wirkung von Sätzen wie „Hast du das auch manchmal?", die meist von heftigem Kopfnicken begleitet werden und dafür sorgen, dass man sich nicht mehr then ganz alleine fühlt. Sehr wertvoll waren auch hier die Beiträge und Tipps von Herrn Dr. Barbera, der uns das medizinische Hintergrundwissen zu Alltagsproblemen und allerlei Situationen, in die man sich mit einer Gefäßkrankheit manövrieren kann, lieferte.

Stillleben mit Astra, Fritz-Kola, Nudeln und Tomaten

Moin und Mahlzeit

Nachdem der morgendliche Workshop beendet war, widmeten wir uns in der kleinen Gemeindehausküche der Zubereitung des Mittagessens.

Beim gemeinsamen Schnippeln, Rühren und Abschmecken wurde viel gelacht und die Kochkünste einiger Teilnehmer unter Beweis gestellt. Beim anschließenden Mittagessen wurde über die besten Krankenhäuser und die verrücktesten Fehldiagnosen, die uns je gestellt wurden, diskutiert. Wo gibt es das leckerste Krankenhausessen? Wo sind die Schwestern am nettesten? Wo gibt es das schnellste WLAN? Auch hier sorgten einige Anekdoten für großes Gelächter und wir machten uns anschließend entspannt ans Aufräumen. Nach diesem angenehmen Vormittag mit reichlich Input verabschiedeten wir uns von Herrn Dr. Barbera und starteten gestärkt Richtung Hafencity. Ob die von uns kredenzte Pasta mit der von Herrn Dr. Barberas italienischer Familie mithalten konnte, wird übrigens auf ewig ein Mysterium bleiben.

Während wir uns am Vormittag eher auf die medizinischen Gesichtspunkte konzentrierten, sollte der Nachmittag ganz im Zeichen der Selbstreflexion stehen. Inwiefern behindert mich meine Krankheit überhaupt? Wie nehmen Menschen, die eine andere Behinderung haben, ihre Umwelt wahr? Bin ich überhaupt eingeschränkt? Um diese Fragen zu beantworten, begaben wir uns ins „Dialoghaus" in der Speicherstadt, einer Art interaktivem Museum, welches es ermöglicht, den Alltag von blinden und gehörlosen Menschen zu erleben. In zwei Grüppchen aufgeteilt durften wir nun jeweils einem blinden oder einem gehörlosen Guide durch eine Ausstellung folgen, welche unsere Selbstwahrnehmung ins Wanken bringen sollte.
Um den „Dialog im Stillen" zu erleben, setzten wir uns zunächst schalldichte Kopfhörer auf die Ohren. In den rund gestalteten Ausstellungsräumen lernten wir, was es heißt nonverbal zu kommunizieren. Mittels Körpersprache, Mimik und Gestik gelang es uns, ohne auch nur ein Wort Gebärdensprache zu beherrschen, einfache Sachverhalte auszudrücken, Rätsel zu lösen und miteinander zu kommunizieren. Um anschließend einen Dialog mit unserem Guide zu führen und ihn über seinen Alltag zu befragen, stand uns eine Gebärdensprachdolmetscherin zur Verfügung. Während der Diskussion mit unserem lustigen und motivierten Guide wurde schnell klar, dass er seine Gehörlosigkeit nicht als eine Behinderung betrachtet – vielmehr als eine andere Fine art und Weise, die Welt wahrzunehmen.

Der „Dialog im Dunkeln" fand, wie der Name schon sagt, in kompletter Dunkelheit statt. Nur mit einem Blindenstock in der Hand ging es in die Ausstellung hinein, welche Alltagssituationen blinder Menschen darstellt. Über einen Kiesweg ging es durch einen Park über eine Brücke, hinter einem parkenden Auto galt es, eine Straße zu überqueren, und über einen Holzsteg kam man schlussendlich zu einem Boot – ohne Augenlicht gar nicht and then einfach zu bewältigen. Stattdessen rückten andere Sinne in den Vordergrund: am Marktstand musste das gewünschte Obst ertastet und „erschnüffelt" werden; um in das Boot zu steigen war human auf fremde Hilfe angewiesen, um nicht kopfüber ins Wasser zu fallen. Insgesamt fühlt man sich ein bisschen hilflos, besonders wenn man sowieso schon ein Bein hat, das auch bei uneingeschränkter Sehfähigkeit nicht immer mitspielt. Nach dem Parcours durch die Dunkelheit führte der Guide in eine kleine, komplett dunkle Bar mit blindem Barkeeper. Bei Getränken und Snacks konnte der Guide nun mit allen Fragen gelöchert werden, die uns auf der Zunge brannten. Bei der ein oder anderen Frage dachte human being sicher auch bewusst oder unbewusst an die eigene Behinderung, die einem den Alltag nicht immer einfach gestaltet, und dice eine völlig eigene Welt darstellt, in dice sich Außenstehende nicht unbedingt hineinfinden können. Nach dem Besuch fanden sich unsere beiden Grüppchen wieder zusammen und tauschten sich rege über das soeben Erlebte aus. Dice neuen Sinneseindrücke und Gespräche mit den Guides haben uns erlaubt, dice Welt – wenn auch nur für ein paar Minuten - aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, und für den ein oder anderen sicher auch die eigene Behinderung in eine ganz neue Perspektive gerückt.

Hamburg Speicherstadt bei Nacht

Hamburg Speicherstadt (Foto @Stefanie Baars)

Nach einem kurzen Spaziergang durch die Speicherstadt im Abendlicht nahmen wir Platz im Surfkitchen, einem kleinen Burger-Restaurant in malerischer Lage an der Elbtorpromenade, direkt neben dem maritimen Museum. Bei leckeren Burgern und Ofenkartoffeln stärkten wir uns für den nächsten Programmpunkt des Abends, für den alle Teilnehmer in Topform sein mussten: ein Escape-Room-Battle. In zwei Teams aufgeteilt und in zwei separate Räume gesperrt galt es, so schnell wie möglich aus dem Raum herauszufinden und dabei allerlei Rätsel zu lösen. Voller Vorfreude machten wir uns also wieder auf den Rückweg nach St. Pauli, wo wir im „Fluchtweg Hamburg" freundlich begrüßt und auf unser Abenteuer eingestimmt wurden. Bei dieser Teambuilding-Maßnahme kam es auf die Fähigkeiten und Qualitäten eines jeden Teilnehmers an, denn nur mit vereinten Kräften und durch guten Zusammenhalt untereinander konnten dice Aufgaben bewältigt werden. Das Szenario „Hotel Old Vegas" spielte in einem alten Hotel der Sechzigerjahre, gefüllt mit Pokerchips, alten Spielkarten und vergilbten Dollarnoten, dice es über akustische Signale, sportliche Matheaufgaben und UV-Licht logisch zu verknüpfen galt. Im Szenario „Voyager 2076" wurde in einem Raumschiffkontrollraum gespielt, in dem allerlei Weltraumtechnik, wie beispielsweise ein Roboter mit Sprachsteuerung, verbaut war. Schlussendlich gelang es beiden Teams, die Tür noch vor Ablauf der Zeit zu öffnen und somit Geschick, Geduld und logisches Denkvermögen zu beweisen und den abendlichen Programmpunkt mit Bravour zu bestehen (auch wenn Hotel Old Vegas ein klitzekleines bisschen schneller state of war). Bei unserer anschließenden Runde über dice Reeperbahn und durch die ein oder andere Kiezkneipe wurde entsprechend viel gelacht und es gab Gelegenheit, die Eindrücke des ereignisreichen Tages noch einmal Revue passieren zu lassen.

Landungsbrücken (Foto: ©ffhsh)

Nach dem Frühstück am Sonntagmorgen war für den Großteil der Teilnehmer der Moment zum Abschiednehmen gekommen, da einigen noch eine weite Heimreise bevorstand. Die verbleibenden Teilnehmer hatten dice Möglichkeit, die schönsten Ecken des Hamburger Hafens bei einer Hafenrundfahrt zu erkunden. Von den Landungsbrücken ging es über die mächtigen Containerterminals durch die historischen Wasserstraßen der Speicherstadt. Und trotz des ewig grauen Himmels wurde nun wohl auch dem Letzten klar, warum Hamburg im Volksmund als Perle bezeichnet wird.
Wir bedanken uns herzlich bei Herrn Dr. Barbera für seinen spannenden Workshop sowie beim BV und allen Sponsoren für die Ermöglichung des Treffens. Allen Teilnehmern ein herzliches Dankeschön fürs Dabeisein und die kreative Mitarbeit – wir freuen uns auf ein Wiedersehen in 2021!

Vanessa Franz, Januar 2020

Das Treffen junger Erwachsener 2019 in Hamburg wurde gemeinsam von den Teilnehmenden selbst und von Seiten des Bundesverbands durch Elisabeth Huhn organisiert, sowie nicht zuletzt durch die Förderung des BKK Dachverbands east.V. möglich.

Logo des BKK Dachverbandes

Fotos: Die Fotos wurden uns freundlicherweise von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Marc-Oliver Schulz, Stefanie Baars und grr zur Verfügung gestellt.

Dieser Artikel erschien auch in "Das Magazin", Ausgabe 6, S. 16-19.

Source: https://www.angiodysplasie.de/de/news/2020/20200106_Nirgendwo-strahlt-der-Himmel-so-schoen-grau-wie-in.php

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